Norbert Thoss

Architekt und Bildhauer.


Sichtwechsel

Weniger ist manchmal mehr

Obwohl Norbert Thoss die Möglichkeiten der Abstraktion genau kennt, orientieren sich die meisten seiner Skulpturen und Plastiken an der Realität und damit an Formen, die man in der Natur sieht. Die Darstellung des menschlichen sowie des tierischen Körpers in unterschiedlichen Haltungen, Posen und Beziehungs-geflechten bildet seinen künstlerischen Schwerpunkt. Neben blockhaften und massekonzentrierten Werken, die statische Situationen und Posen kennzeichnen, entstehen vermehrt offene und raumgreifende Skulpturen, die dynamische Bewegungsabläufe thematisieren.

Seine Experimentierfreude zeigt der Künstler besonders in der breiten Palette seiner Materialien. Neben dem traditionellen Zweigespann Bronze und Marmor verwendet er Terrakotta, Artelith oder Hartschaum, der später mit Gips überzogen wird und dann eine Lackierung erhält. Unterschiedliche Oberflächenbehandlungen unterstreichen den Einfluss von Farbigkeiten, von Licht und Schatten sowie von Reflexion oder Absorption auf die Wirkung der Plastik.

Verfremdungseffekte erzielt Norbert Thoss über seine spezifische Form der Reduktion. Die Fragmentierung und Torsierung als künstlerische Konzeption sind seit Auguste Rodin zum bildnerischen Allgemeingut geworden und ziehen sich bei Bildhauern wie Wilhelm Lehmbruck als roter Faden durch das gesamte Werk.

Thoss nimmt diesen Reduktionsgedanken auf und ergänzt ihn um eine weitere Variante. Während beim Torso durch Verzicht auf Kopf oder Glieder die figürliche Unvoll-kommenheit dem Betrachter schroff und hart - gleichsam einer Amputation - ins Auge springt, bezieht Thoss ähnlich wie Henry Moore mit seinen Experimenten zur "ausgehöhlten Masse", seine Weglassungen als gestalterisches Element harmonisierend in seinen Formenkanon ein. Diese Art des Weglassens einzelner Körperpartien, die als "Substraktionismus" bezeichnet wird, führt zu interessanten Wechselbeziehungen zwischen konvexer und konkaver Formgebung und eröffnet neue Perspektiven für das Wechselspiel zwischen dem aus dem Material bestehenden positiven Formen des Körpers und den negativen Formen des Raumes.

Mit dieser Verschachtelung von innerer und äußerer Form findet Norbert Thoss zu einer eigenen plastischen Formsprache. Der Betrachter kann sich von der reinen Formgebung und ihrer spezifischen Ausstrahlung leiten lassen oder aufgrund des figürlichen Vorverständnisses die Figur nach eigenen Vorstellungen und Assoziationen weiter entwickeln. Insofern bieten Thosssche Skulpturen zahlreiche Möglichkeiten des Erlebens und der kreativen Auseinandersetzung mit dreidimensionalen Körpern und dem ihm umgebenden Raum.

Dr. Dr. Wolfgang Griese